Die EU leidet an Verstädterung der Hirne“

GERT ALDINGER (LINKS) UND FRITZ KELLER KÄMPFEN FÜR DEN WEINBAU IN WÜRTTEMBERG UND BADEN. FOTO: GOTTFRIED STOPPEL


Interview Die Spitzenwinzer
Gert Aldinger und Fritz Keller sehen das Ende des Weinbaus
in Württemberg und Baden kommen.


Harald Beck und Holger Gayer


Stuttgart Gert Aldinger und Fritz Keller sind nicht nur die Grandseigneurs des Weinbaus in Württemberg und Baden, sie nehmen auch kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihre Arbeit – und die ihrer Kolleginnen und Kollegen – gefährdet sehen. Im Interview mit unserer Zeitung nehmen sie sich eine neue Verordnung der Europäischen Union vor, wonach bis zum Jahr 2030 jeglicher Pflanzenschutz in Landschaftsschutzgebieten verboten werden soll. Davon betroffen wäre nicht nur der konventionelle, sondern auch der biologische Weinbau. „Wir stellen eben auch fest“, sagt Fritz Keller, „dass alle paar Jahre ein paar schlaue Stadtökologen daherkommen und sagen, dass alles wild sein müsse und nichts kultiviert werden dürfe. Da muss ich klar sagen: Sorry, Leute, das ist Bullshit!“

Herr Aldinger, Herr Keller, was passiert mit dem Weinbau in Baden und Württemberg, wenn sich die Europäische Union durchsetzt und bis zum Jahr 2030 der Pflanzenschutz in allen Landschaftsschutzgebieten verboten wird?

Aldinger:Ohne Pflanzenschutz wird es bei uns keinerlei traditionellen Weinbau mehr geben. Vor allem in den Steillagen wird die Kulturlandschaft versteppen. Der Staat wird Leute einstellen müssen, die diese Steppe mitsamt den wilden Brombeeren und den eingestürzten Natursteinmauern pflegen, weil die Hänge sonst abrutschen.Dann wird aus einem Wirtschaftszweig, der mit dem Schutz der Landschaft auch noch zahlreiche Familien ernährt, ein Zuschussbetrieb für die öffentliche Hand.

Keller:Dabei sind unsere Steillagen und Kleinterrassen, so wie wir sie heute am Kaiserstuhl, im Remstal, an der Enz oder im Neckartal kennen, ökologisch und in Sachen Biodiversität ungeheuer wertvoll. Wer Weine aus solchen Lagen trinkt, ist der beste Naturschützer, den man sich vorstellen kann. Zahlreiche Insektenarten, vor allem Wildbienen, können nur überleben, weil Winzer seit Jahrhunderten unsere Kulturlandschaft pflegen. Aber wir stellen eben auch fest, dass alle paar Jahre ein paar schlaue Stadtökologen daherkommen und sagen, dass alles wild sein müsse und nichts kultiviert werden dürfe. Da muss ich klar sagen: Sorry, Leute, das ist Bullshit!

Malen Sie da nicht ein wenig zu schwarz?

Aldinger:Nein, keineswegs. Viele Leute denken bei Pflanzenschutz an chemische Keulen. Aber wir spritzen schon seit Jahrzehnten keine Insektizide mehr. Allerdings müssen sowohl ökologisch als auch konventionell arbeitende Weinbaubetriebe Pilzkrankheiten bekämpfen können, um die Weinberge gesund zu halten. Da geht es dann zum Beispiel um Backpulver und Kräutertees. Aber auch die dürften wir nicht mehr einsetzen, wenn jeglicher Pflanzenschutz verboten wird.

Keller:Und klar ist, dass es dann keinen Lemberger oder Spätburgunder mehr aus Württemberg oder Baden gäbe. Unsere Weine verschwänden vollständig, weil du einen Lemberger wie in Württemberg und einen Spätburgunder wie in Baden nicht in der Toskana oder in Spanien produzieren kannst. Die EU leidet an Verstädterung der Hirne und entfernt sich von der Heimat, in der wir leben.

Aldinger:Das ist es, was auch mich so auf die Palme bringt. Mein Vater war einst Kreisrat im Rems-Murr-Kreis und hat dazu beigetragen, dass unsere Kulturlandschaft erhalten wird. Er hat zum Beispiel dafür gekämpft, dass Weinbergflächen, Frischluftschneisen und Bachläufe erhalten werden. Das Ziel war, dass dort keine Häuser gebaut werden, um die weitere Versiegelung der Flächen zu verhindern. Wie wichtig das ist, hat man beim katastrophalen Hochwasser an der Ahr gesehen. Offene Flächen sind Teil unserer Existenzgrundlage. Und jetzt soll die Keule zurückschlagen, obwohl wir uns in den vergangenen Jahrzehnten darum bemüht haben, die Sünden der davor liegenden Vergangenheit zu reparieren?

Was meinen Sie damit?

Aldinger:Wir, die heutigen Winzer und Landwirte, haben vor Jahren selbst dafür gekämpft, dass unsere Flächen Landschaftsschutzgebiete werden. Als der Fritz und ich in der Lehre waren, ist nach einer Spritzung im Wengert jedes Getier tot auf dem Rücken gelegen. Das hat sich zum Glück radikal geändert, und daran haben wir Winzer und Landwirte einen entscheidenden Anteil. Seit 1988 machen wir die Schädlingsbekämpfung über die sogenannte biologische Verwirrmethode. Da kommen Pheromone zum Einsatz, die in Ampullen ausgehängt werden. Und inzwischen stellen, unter anderem im Remstal, sehr, sehr viele Betriebe komplett um auf biologischen Anbau.

Aber auch die wären von der neuen EU-Regel betroffen?

Keller:Alle wären davon betroffen. Um es noch mal klar zu sagen: Es gäbe keinen Weinbau mehr in Baden, Württemberg oder auch an der Mosel, wenn dieser Irrsinn käme. Es sind alle Gebiete betroffen, die landschaftlich besonders wertvoll sind. Nur dort, wo Weinbau auf ehemaligen Kartoffeläckern extensiv betrieben wird, dürften noch Reben stehen. Das ist die Perversion des Naturschutzgedankens. Und leider weiß ich nicht, ob die Politik im Land, im Bund und in der EU schon erkannt hat, dass hier unter dem Siegel des Landschaftsschutzes die unökologischsten Maßnahmen vorbereitet werden, die es je gab.

Sind Winzer Naturschützer oder Naturausbeuter?

Keller:Das ist eine gemeine Frage, die aber unser Dilemma auf den Punkt bringt. Einerseits fehlt es uns – und fast allen Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit schaffen – tatsächlich an Rückhalt und Wertschätzung in Teilen der Bevölkerung. Die Winzer, die Kleinterrassen, Steillagen und Trockenmauern bewirtschaften, sind eindeutig Naturschützer, und für mich ist es klar, dass natürlich mit ökologischen Mitteln die beste Qualität in die Flaschen und ins Glas kommt.

Aldinger:Andererseits bekommen wir viel Zustimmung von Kunden und Fachleuten, die hinterfragen, was wir tun. Wir müssen erklären, wie wir arbeiten. Das ist unser Los. Und manchmal müssen wir uns auch wehren, wenn Unsinn getrieben wird.

Keller:Tatsache ist: Wir schützen die Natur, um auf Mutter Erde Lebensmittel für die Menschen zu produzieren. Deswegen haben sich mein Vater und einige Mitstreiter vor Jahrzehnten am Kaiserstuhl gegen die Flurbereinigung und für den Erhalt der Kleinterrassen und Steillagen eingesetzt. Nur aufgrund dieser Initiative gibt es unsere Kleinterrassen und Steillagen überhaupt noch. Wir Winzer sind diejenigen, die diese Kulturlandschaft erhalten haben, die keiner mehr bewirtschaften möchte. Wenn künftig aber alles wild verbuscht, wird die Erosion zuschlagen – so wie es Gert vorher schon beschrieben hat. Und damit nicht genug: Auch die kleinen Gemüsebauern oder Viehhalter sind betroffen. Gleichzeitig wollen die Leute aber Gemüse und Fleisch aus regionaler und biologischer Herkunft, was ja auch notwendig ist, um in Sachen Ernährung zumindest einigermaßen autark zu bleiben. Wie wichtig das ist, sieht man ja jetzt mit dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise.

Bleiben wir beim Wein: Sind die neuen, robusten und pilzwiderständigen Sorten, die sogenannten Piwis, eine Alternative zu den Rebsorten, die gespritzt werden müssen?

Aldinger:Nein, nicht so kurzfristig. Erstens müssen die Piwis, die es im Moment gibt, in solchen Jahren wie 2021 auch gespritzt werden. Zweitens gibt es gar nicht genügend Material, um die gesamte Rebfläche in Baden und Württemberg in den kommenden zehn Jahren umzustellen. Drittens wäre das ein wirtschaftlicher Totalschaden. Ein Hektar Rebfläche umzustellen kostet etwa 40 000 Euro und bedeutet zusätzlich drei Jahre keinen Ertrag. Wer soll das bezahlen?

Keller:Und vor allem: Wer trinkt die Piwis? Es ist kein Markt dafür da – national nicht und international schon gar nicht.

Weil Piwis nicht so gut schmecken wie die traditionellen Sorten?

Aldinger:Tatsache ist, dass viele aktuelle Piwis stark auf Frucht getrimmt sind. Da fehlt oft die Tiefe. Vielleicht ist das in ein, zwei Jahrzehnten anders. Aber im Moment können die Piwis die traditionellen Sorten allenfalls ergänzen, nicht ersetzen.


Das Gespräch führten Harald Beck
und Holger Gayer.