Droht Weinbau im Täle das Aus?

Wengerter schlagen Alarm: Grund ist eine geplante EU-Verordnung, die ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln
in sensiblen Gebieten vorsieht. Das wiederum würde den Weinbau im kompletten Neuffener Tal betreffen.



Helmut Dolde im Keller


von Henrik Sauer


Die Europäische Union möchte den Einsatz von Pestiziden deutlich reduzieren. Um 50 Prozent soll deren Verwendung bis zum Jahr 2030 verringert werden, um die Umwelt zu schützen. Gegen dieses Ziel lässt sich zunächst einmal schwerlich etwas einwenden, denn die Auswirkungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln auf die Artenvielfalt sind hinlänglich bekannt.

Eine entsprechende Richtlinie gibt es bereits seit Mitte 2020. Doch hat sich diese nach Ansicht der Europäischen Kommission als nicht streng genug erwiesen, weshalb sie nun schärfere Maßnahmen anstrebt. Geplant ist eine Verordnung, die dann für alle Mitgliedsstaaten rechtsverbindlich wäre.



In dem bislang vorliegenden Entwurf steht allerdings eine Passage, die bei Weingärtnern die Alarmglocken schrillen lässt. Denn in einigen Gebieten soll demnach der Einsatz von Pestiziden komplett verboten werden. Und das, sagt der Linsenhöfer Winzer Helmut Dolde, hätte für den Weinanbau (nicht nur) im Neuffener Tal katastrophale Folgen: „Weinbau funktioniert ohne Pflanzenschutz nicht. Es wäre das Aus für den Weinbau.


Weinberge im Täle liegen alle im Schutzgebiet (Biosphärengebiet Schwäbische Alb)

Konkret geht es um ein Verbot aller Pestizide in „empfindlichen Gebieten“, wie es in dem Entwurf heißt. Die EU-Kommission zählt dazu städtische Grünflächen, Parks und Gärten, Spielplätze, Schulen, Freizeit- und Sportplätze und öffentliche Wege. Die Menschen sollen im Alltag in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht mehr mit chemischen Pestiziden in Berührung kommen, so die Intention. Als empfindliche Gebiete stuft die EU aber auch die sogenannten Natura-2000-Schutzgebiete ein. Und hier kommen die Landwirte wie zum Beispiel die Wengerter ins Spiel. Schaut man sich die entsprechende Karte des baden-württembergischen Umweltministeriums an, gehören zu diesen Schutzgebieten nahezu alle Weinanbauflächen im Neuffener Tal. Dort dürften also gar keine Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden.

Doch warum ist dies im Weinbau nicht möglich? Grund sind Pilzkrankheiten wie der echte und der falsche Mehltau, erklärt Dolde. Im 19. Jahrhundert seien sie aus Amerika eingeschleppt worden und hierzulande auf Reben getroffen, die dagegen nicht resistent waren. Mit diesen Pilzen kämpfe man nach wie vor jedes Jahr. Sie befallen die Blätter und die Trauben der Reben und können schlimmstenfalls zu einem Totalverlust der Ernte oder der Rebstöcke führen.

Auch Jürgen Pfänder, der Vorstandsvorsitzende der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck, sieht in der Verordnung den Todesstoß für den Weinbau im Neuffener Tal: „Wenn die Verordnung so käme, würde es bedeuten, dass der Weinbau aufgegeben werden müsste.“ In der Neuffener Winzergenossenschaft gibt es derzeit 93 aktive Mitglieder, die bis auf zwei oder drei größere Betriebe Weinbau im Nebenerwerb betreiben. Sie bewirtschaften zusammen etwa 28 Hektar Fläche. Hinzu kommen weitere zehn Hektar in Neuffen und Beuren, die von privaten Wengertern betreut werden, die nicht Mitglied in der Genossenschaft sind.

Für ihn selbst, sagt Pfänder, hätte das Verbot in der Form existenzielle Auswirkungen. Er bewirtschaftet in seinem Betrieb gut zwei Hektar in den Beurener Weinbergen. Die Frage sei aber auch: „Was wird dann aus diesen Flächen? Sie würden zunehmend zur Brache werden.“

Das ist auch ein Punkt, der den passionierten Wengerter Helmut Dolde sehr ärgert. Die EU nehme mit der Verordnung für die Schutzgebiete den Wengertern nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern konterkariere auch noch deren Wirken für den Natur- und Landschaftsschutz: Als Anfang der 1990er Jahre über die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten diskutiert worden sei, „haben wir Wengerter das unterstützt“, sagt Dolde. Lebensräume für Tiere und Pflanzen seien in den Weinbergen entstanden, ein Naturraum mit einer hohen ökologischen Wertigkeit. Durch Trockenmauern zum Beispiel und eine spezielle Pflanzenwelt. Nun werde man dafür quasi bestraft, weil es Schutzgebiet sei und unter die Verordnung falle. „Wir sind alle bestrebt, nachhaltig und naturschonend zu arbeiten, um Weinbau auch in Zukunft möglich zu machen“, sagt Dolde.

In der Genossenschaft empfehle man den Mitgliedern im Hinblick auf die kommende Verordnung, als Alternative pilzwiderstandsfähige Sorten, sogenannte Piwis, anzubauen, berichtet Pfänder. Dies passiere auch vermehrt. Auf etwa zwei Hektar würden mittlerweile Piwi-Sorten angebaut, schätzt er.

Diese müssen zwar weniger gespritzt werden, ganz ohne geht es indes auch bei ihnen nicht, wie Helmut Dolde erläutert: Piwis sind Kreuzungen mit amerikanischen Wildreben, die eine gewisse Resistenz gegen den echten und falschen Mehltau entwickelt haben. „Die Resistenz ist aber nicht absolut“, so Dolde. Etwa zwei- bis dreimal pro Saison müssten Piwi-Sorten behandelt werden, bei den herkömmlichen Sorten seien es etwa sechs bis acht mal.

Doch selbst das wäre nach jetzigem Stand der Verordnung nicht mehr erlaubt. Bei der Weingärtnergenossenschaft hofft man deshalb, dass ein komplettes Verbot nicht kommt. „Unsere Verbände arbeiten daran, dass das Verbot gelockert wird“, so Pfänder: „Es beträfe ja den Weinbau in ganz Deutschland. Und auch der Obstbau wäre betroffen.“

Hinzu komme bei den Piwis, dass diese Sorten schwer zu vermarkten seien, wie Jürgen Pfänder berichtet: „Silvaner und Riesling kennen die Leute. Aber die Sorte Regent zum Beispiel, die es schon seit 20 Jahren gibt, kommt bei den Kunden einfach nicht so gut an.“ Daher arbeite man aktuell an einem Vermarktungskonzept.

Auch der biologische Anbau wäre von der Verordnung betroffen“, sagt Jürgen Pfänder, denn auch dieser müsse Pflanzenschutz betreiben. Auch biologische Pestizide sind nicht unumstritten, wegen des darin verwendeten Kupfers als Pilzgift. Belastet es doch langfristig die Böden und zerstört auch die Mykorrhiza-Pilze, die sich unterirdisch mit den Wurzeln von Pflanzen verbinden und mit ihnen eine Lebensgemeinschaft bilden, wie Helmut Dolde erklärt. Eine Alternative zum Kupfer gebe es momentan nicht.

Auch der biologische Anbau wäre wohl betroffen

Dolde, der 1981 im Nebenerwerb mit dem Weinbau begann und heute im Ruhestand zusammen mit Vertragsanbauern circa zwei Hektar Fläche bewirtschaftet, plädiert ohnehin dafür, den Unterschied zwischen konventionellem und biologischem Anbau nicht dogmatisch zu sehen: „Es gibt auch konventionelle Mittel, die an der Oberfläche wirken und keine Rückstände hinterlassen.“ Technisch sei auch im konventionellen Bereich schon viel erreicht worden, um ungewollte Kontamination von Flächen und Pflanzen zu reduzieren: „Man kann viel tun, um den Naturwert des Weinbergs zu verbessern. Wir sind da auf einem guten Weg und machen vieles besser als in der Vergangenheit.“

Ähnlich argumentiert auch Jürgen Pfänder, der konventionellen Anbau betreibt, dabei aber nach eigener Aussage versucht, möglichst Bio-Methoden anzuwenden: „Ich suche mir von Beidem das Beste heraus.“

Der EU-Verordnungsentwurf ist für Helmut Dolde ein „typischer Kompromiss, um die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bringen“. In südlichen Ländern mit viel Weinbau wie Spanien, Italien oder Frankreich gebe es viel weniger solcher Schutzgebiete. Dolde: „Man hat nicht bedacht, dass das bei uns so ein dickes Ende haben könnte.“